Das Glück als aktive und kreative Handlung

Das Paradoxe am Glücklichsein ist, dass Hedonismus – vor allem radikaler Hedonismus – langfristig gerade nicht glücklich macht. Der Beitrag erforscht Eudaimonie als alternativen Maßstab.

Der Hedonismus des „Homo oeconomicus“ – die Suche nach kurzzeitigen Freuden, das Vermeiden von Leid, das selbstsüchtige Suchen nach unserem Vorteil – isoliert den Menschen und führt zum Überkonsumieren der globalen Ressourcen. Eudaimonie hingegen ermöglicht ein Leben mit zielgerichteten Handlungen und unterstützenden Beziehungen, in dem Glück nicht das direkte Ziel ist, sondern eher ein „unintendierbarer“ Nebeneffekt.

Hedonismus: Ein Leben für den Genuss

Glück: Eines der großen und ewigen Themen der Menschheit. Fragen, die schon Aristoteles beschäftigten – beispielsweise ob Glückseligkeit ein Ergebnis eigener Bemühungen oder aber ein Geschenk des Schicksals ist, und was Glückseligkeit denn überhaupt ausmacht –, diese Fragen sind auch heute noch aktuell. Bei der Deutung von Glückseligkeit lassen sich zwei grundlegende Ansätze unterscheiden: Hedonismus und Eudaimonie. Nach der Lehre der Hedonie ist Glückseligkeit ein Gefühl, beispielsweise die Befriedigung, die Freude, die Lust und das Fehlen von Schmerz. Nach der Lehre der Eudaimonie hingegen ist Glückseligkeit eine Handlung. Ersteres verweist auf einen Zustand, ein Endziel, während Letzteres auf einen Prozess hindeutet, darauf nämlich, wie man ein gutes Leben führen kann und was dazu notwendig ist.

„Der Begriff des „Hedonismus“ stammt aus dem antiken Griechenland und besagt, dass Genuss oder Lust das höchste Gut ist und einen nach innen gerichteten Wert darstellt. Obwohl es einen beträchtlichen Unterschied zwischen den wichtigsten antiken Befürwortern des Hedonismus, Aristippos von Kyrene (435-356 v.Chr.) und Epikur von Athen (341-271 v.Chr.) gibt[i], halten beide den Genuss (hēdonē) für das ultimative Ziel des Lebens (telos)“ (O’Keefe 2010, Epicurus, Inwood und Gerson 1994). Beide betonten die Wichtigkeit der körperlichen Sinne.

In der jüngeren hedonistisch orientierten Philosophie des Utilitarismus gilt die Maximierung der Nützlichkeit (Utility) – die dem Vergnügen gleichgesetzt wird – als das wichtigste Lebensziel. Menschliches Handeln wird hier verstanden als motiviert durch die Suche nach Lust und gleichzeitigem Vermeiden von Schmerz. Der Utilitarismus hatte tiefgreifenden Einfluss auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Leitbilder unserer Zeit. Der “Homo oeconomicus”, wie er heutzutage in den Wirtschaftswissenschaften gelehrt wird, ist ein nutzenmaximierender Egoist.

Aber was spricht auch dagegen, dass Menschen sich einfach wohlfühlen und Schmerzen vermeiden wollen? Dieses Ziel zu verfolgen, erscheint vollkommen menschlich – warum sollte dieser Wunsch negiert werden?

Tatsächlich ist das Gefühl des Genusses nicht zwingend kritisch zu betrachten. Es kann sogar als ausgezeichneter Index für das seelische Gleichgewicht einer Person herangezogen werden (Lelkes, 2013). Problematisch aber wird es dann, wenn sich die Lebensstrategie einer Person einzig und allein darauf ausrichtet, nach Freude zu suchen und Leid und Schmerz fernzuhalten. Besonders im „radikalen Hedonismus“ gelten maximaler Genuss und die Erfüllung jeden Verlangens als das ultimative Lebensziel (Fromm, 1997, S. 13).

Das Paradoxe am Glücklichsein aber ist, dass Hedonismus – vor allem radikaler Hedonismus – langfristig gerade nicht glücklich macht. Der Versuch, negative Gefühle zu vermeiden, eliminiert weder deren Ursache noch ihr Vorhandensein. Laut Fredrickson et al. (2013) haben hedonistisch orientierte Menschen zudem einen höheren Stresslevel als eudaimonisch orientierte Menschen. Auch geht Hedonismus häufig einher mit Selbstsucht, Materialismus, einem Mangel an Solidarität oder aber dem Aufbrauchen der Ressourcen unseres Planeten (Frank, Gilovich, & Regan, 1993; Fromm, 1997; Kasser, 2002; Molinsky, Grant, & Margolis, 2012).   

Eudaimonie: Glück als Handlung

Das Wort Eudaimonie setzt sich zusammen aus „eu“ für „das Gute“ und „daimon“ (δαιμον) für ein übernatürliches Wesen, einen Geist. In der antiken Welt wurden auch jene Wesen als Dämonen bezeichnet, die in den himmlischen Sphären lebten und die Planeten bewegten. Dort aber herrschte perfekte Ordnung, das Universum wurde als geordnet verstanden (= Kosmos). In diesem Weltbild galt als Ziel des menschlichen Strebens, die Vollkommenheit der himmlischen Sphären im eigenen Inneren zu erreichen.

Nach Aristoteles ist die Glückseligkeit „eine der vollendeten Tugend gemäße Tätigkeit der Seele“ (1911, S. 1102a). Er benennt mehrere dieser Tugenden, unter ihnen gibt es die Verstandestugenden wie Weisheit, Scharfsicht und Klugheit sowie die ethischen Tugenden: Freigiebigkeit und Mäßigung. Er ging nicht davon aus, dass es eine universelle Definition des ewig „Guten“, der „Idee“, gäbe, vielmehr sah er das Gute als einen Begriff, der für jeden Menschen eine individuell andere Bedeutung haben könne. Demnach muss also jeder Mensch das tugendhafte Leben, die zur Glückseligkeit führende Handlung, für sich selbst finden.

Laut Aristoteles kann die Glückseligkeit nicht „nach göttlichem Ratschluß oder auch durch bloßen Zufall zuteil“ (Aristoteles, 1911, 1099b) werden, sondern ist das Ergebnis bewussten Handelns. „Gerade das Größte und Herrlichste aber dem Zufall zuzuschreiben würde über alles Maß gedankenlos sein“(ebda., 1102a).

Mit Aristoteles nahm die Erforschung der Eudaimonie ihren Anfang. Bis heute entstand eine ganze Reihe an wissenstheoretischer und empirischer Fachliteratur über das Konzept des eudämonischen Wohlbefindens (vgl. etwa Arneson, 1999). Eudaimonische Parameter gehören zu den wichtigsten Parametern, um subjektives Wohlbefinden zu messen, und fließen zunehmend auch in Haushaltsumfragen ein. Bemerkenswert ist, dass eudaimonische Parameter eine größere Vielfalt aufweisen als hedonische Parameter: So fokussiert eine aktuelle Definition des eudaimonischen Ansatzes auf Sinn und Selbstverwirklichung und definiert das Wohlbefinden als abhängig vom Ausmaß der menschlichen Funktionsfähigkeit (Ryan, Huta, & Deci, 2008). Andere verwenden zusammengesetzte Parameter, die emotionales Wohlbefinden, Vitalität, Resilienz und Selbstwertgefühl, unterstützende Beziehungen und weitere Elemente beinhalten (vgl. etwa Michaelson et al., 2009). Zwar unterscheiden sich hedonische und eudaimonische Indikatoren konzeptionell, empirisch jedoch korrelieren sie (Waterman, 1993). Meiner Meinung nach können die Parameter Sinn und Bedeutung eher als eudaimonische Schlüsselindikatoren gelten als andere psychologische Messwerte.

Zur Eudaimonie, zum „guten Handeln“, braucht es laut Aristoteles Bewusstheit, Selbstreflexion und Autonomie. Mittels der Bewusstheit entdeckt der Mensch sein „wahres Ich“ und kann seine Möglichkeiten verwirklichen. Nach Ansicht von Aristoteles ist es das kontemplative Leben, das am ehesten zur Glückseligkeit führt.

Die Grundlage für ein glückliches Leben ist nach der Lehre der Eudaimonie also, dass jeder Mensch auf ganz persönliche und individuelle Weise herausfindet, was für ihn Sinn ergibt. Jeder Mensch muss entdecken, was seiner eigenen Entfaltung dient – das ist die große Lebensaufgabe des Menschen. „Tugendhafte Handlungen“ helfen dabei, die Sehnsucht des Menschen nach Vollkommenheit zu erfüllen. Die letzte Belohnung dessen ist das Gefühl der Freude.

Laut Forschungsergebnissen ist bei den eudaimonischen, mit „gutem Geist“ handelnden Menschen das Gefühl des Glücks ein stärkeres und sehr viel stabileres als bei den Hedonisten. Sie sind besser in der Lage, erfüllende Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen und sich in diesen Beziehungen zu entfalten. Zudem verfügen sie über eine stärkere physische Verfassung (Ryan & Deci, 2001; Ryan, Huta, & Deci, 2008). Gemäß meiner eigenen laufenden Analyse des European Social Surveys mit über 50.000 Personen sind Menschen, die ein eudaimonisch sinnvolles Leben führen, eher bereit anderen zu helfen, als hedonistisch und weniger sinnorientierte Menschen. Demnach scheint ein eudaimonisches Leben auch mit stärkerem gesellschaftlichem Engagement verbunden zu sein.

Literatur

  • Aristoteles. (1911). Nikomachische Ethik. Leipzig: Felix Meiner Verlag.
  • Arneson, R. J. (1999). Human flourishing versus desire satisfaction. Social Philosophy & Policy, 16(1), 113–142.
  • Epicurus, Inwood, B., & Gerson, L. P. (1994). The Epicurus reader: selected writings and testimonia. Indianapolis: Hackett.
  • Frank, R. H., Gilovich, T., & Regan, D. T. (1993). Does Studying Economics Inhibit Cooperation? The Journal of Economic Perspectives, 7(2), 159–171.
  • Fredrickson, B. L., Grewen, K. M., Coffey, K. A. et al. (2013). A functional genomic perspective on human well-being. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110(33), 13684–13689.
  • Fromm, E. (1997). To Have or To Be? London: Abacus.
  • Kasser, T. (2002). The High Price of Materialism. Cambridge, Mass.: MIT Press.
  • Lelkes, O. (2013). Minimising misery: a new strategy for public policies instead of maximising happiness? Social Indicators Research, 114(1), 121–137.
  • Michaelson, J., Abdallah, S., Steuer, N., et al. (2009). National Accounts of Well-being: bringing real wealth onto the balance sheet. London: New Economics Foundation
  • Molinsky, A. L., Grant, A. M., & Margolis, J. D. (2012). The bedside manner of homo economicus: How and why priming an economic schema reduces compassion. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 119(1), 27–37.
  • O’Keefe, T. (2010). Epicureanism. Berkeley: University of California Press.
  • Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2001). On happiness and human potentials: A review of research on hedonic and eudaimonic well-being. Annual Review of Psychology, 52(1), 141–166.
  • Ryan, R. M., Huta, V., & Deci, E. L. (2008). Living well: a self-determination theory perspective on eudaimonia. Journal of Happiness Studies, 9(1), 139–170.
  • Waterman, A. S. (1993). Two conceptions of happiness: Contrasts of personal expressiveness (eudaimonia) and hedonic enjoyment. Journal of Personality and Social Psychology, 64(4), 678–691.
  • Waterman, A. S. (2008). Reconsidering happiness: a eudaimonist’s perspective. The Journal of Positive Psychology, 3(4), 234–252.



[i] Während Aristippos von Kyrene ein extravagantes Leben führte, betonte Epikur von Athen die Reduktion von Bedarf und den Verzicht von kurzfristigen Freuden, um so längerfristige Freude zu erreichen. (O’Keele 2010, S. 120).